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Die deutsche Sitcom 

Format, Konzeption, Drehbuch, Umsetzung

Fachbuch in der Reihe 'Buch & Medien' bei Bastei Lübbe

AUSZUG aus Kapitel 1

Was macht Sitcoms so populär?

 

Die permanente Suche nach Fernsehformaten, die den Ansprüchen der Zuschauer genügen und diese somit zu ausgiebigem Fernseh- und damit auch Werbekonsum animieren, begrün-dete die Entwicklung der Sitcom ebenso, wie jene anderer, einnahmeträchtiger TV-Genre. Mit der fernsehgeschichtlichen Entwicklung und den Ursprüngen der Fernseh-Sitcom wird sich das nächste Kapitel beschäftigen. Zunächst soll jedoch noch beleuchtet werden, welche Charakteristiken Sitcoms zu breiter Popularität verhelfen.

Sitcoms appellieren zielsicher an das menschliche Grundbedürfnis nach Harmonie und Zufriedenheit, indem sie die Strukturen ihrer etablierten Familieneinheiten bewahren und sich kontinuierlich gegen die Bedrohung der inneren Stabilität durch äußere Einflüsse wehren. Daher ist eine kritische Betrachtung, der das Genre durchaus auch in den USA ausgesetzt ist, aus guten Gründen naheliegend. Tad Friend zog in einem Artikel über Sitcoms in der Zeitschrift ‘Esquire’ eine ebenso simple, wie folgerichtige Einsicht:

Critics charge that even the wittiest sitcom bypasses the brain and spears the emotions, that sitcoms are really meant for children, or the child lurking in adults.[1]

Doch die eigennützigen Motive des Mediums Fernsehen und damit vieler seiner Produkte sind ein unverhohlenes Geheimnis, das nun einmal auf den Prinzipien einer konsum-orientierten Gesellschaft basiert, um in eben dieser fortzubestehen. Im Wettstreit, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer, entwickelten die verschiedenen Formate ihre jeweiligen Gesetzmäßigkeiten. So wenden sich Sitcoms etwa an kindliche Wünsche und Grund-bedürfnisse der Menschen, indem sie die äußere Bedrohung ihrer Einheiten durch die Realität in letzter Instanz doch von den Figuren abwendet und damit die allseits beliebte Botschaft, nach der ‘alles gut wird’, kolportiert und zum Lebensmotto erhebt.

Die Gunst des Zuschauers wird aufrecht erhalten, indem man dessen Erwartungen an den Fortbestand der Harmonie konsequent erfüllt:

...witnessing everything „coming out okay“ for a group of characters with whom we are familiar, comfortable, and perhaps with whom, to some degree we can „identify“ is emotionally desirable, and if we add funny jokes and entertaining „shtick“ the experience is enjoyable and pleasing.[2]

Insofern muß die Sitcom als Gemeinschafts-produkt und Massenkonsumware verstanden werden. Seit Jahrzehnten funktioniert sie nach immer dem selben Muster, präsentiert sich durch kleine oberflächliche Variationen in zeitgemäßem Antlitz und dient sich so, nicht selten mit großem Erfolg, einem konsum-willigen Publikum an. Zugleich reflektiert die Sitcom aber auch die Ideale und Über-zeugungen jener Gesellschaft, aus der sie hervorgeht und damit reflektiert sie auch deren jeweilige Kultur.[3] Sie erfüllt eine Art Vorbildfunktion, indem sie landläufige Über-zeugungen vertritt und dadurch untermauert. Dem Zuschauer den Weg in eine ‘heile Welt’ weisend, liefert sie Handlungs­muster für den Alltag, nur daß dieser sich in der Realität nicht gar so leicht gefügig machen läßt. 

It’s just that watching sitcoms is so much easier. It’s easier than living, than planning, than preparing. In sitcoms, eveybody always says the right thing and they say it cleverly.[4]

Sitcoms opperieren aus kleinen, gesellschaftlichen Einheiten heraus und verkörpern auf diese Weise im kleinen die Gesellschaft. Ganz allgemein greifen Komödien gerne jenes Gesellschaftsbild auf, in dessen Zentrum die Familie selbst steht, um letztlich auch deren Bedeutung zu bestätigen. Jedoch steht diese Besinnung auf das familienorientierte Wertesystem gänzlich im Kontrast zu unserer Zeit, in der das traditionelle Familienideal bröckelt und allmählich seine Funktion als fundamentale Instanz und Eckpfeiler der Gesellschaft einbüßt.[5] Auch wenn die Sitcomfamilie ihre Einheit von der Kernfamilie auf andere Gruppierungen ausgedehnt hat, so stillt sie doch immer noch ein tiefes und elementares Bedürfnis der Zuschauer. Sie bewahrt das familiäre Kleinod, wenngleich in variierter Form, und huldigt dessen ‘unerschütterlicher’ Bedeutung für das Individuum in einer immer mehr von der Vereinzelung bestimmten Gesellschaft. Entsprechend beschreibt Jones

die Sitcom als einen Tagtraum, der die Bedrohung der Familie als gesellschaftliche Institution, sowie karrieregetriebenes Konkurrenzgebahren ignoriert und so dem Zuschauern eine freundlichgesonnene Imitation des Alltaglebens offeriert.[6]

Darüber hinaus wird die Sitcom gerne mit einer Art Spiegel verglichen. Sie bildet bekannte Schwächen ab und ist dabei nicht schonungsvoll. Den Facettenreichtum unserer komplexen Realität vermag sie jedoch nicht abzubilden. Sie neigt zur Übertreibung und stellt ihre Abbilder gerne in den Dienst der Komik. Aus ihrem Blickwinkel lindert sie nicht nur die Not der dargestellten Figuren. Auch dem Zuschauer eröffnet sie eine versöhnliche Perspektive auf vertraute Unzulänglichkeiten - und oft genug handelt es sich um die eigenen. Zuweilen wirkt sie etwas schulmeisterlich, doch vermeidet sie es, uns zu nahe zu treten und zu verprellen. Behandelt sie Wunden, so werden diese zwar offen gezeigt, doch legt sie nur selten den Finger direkt darauf.

Außerdem mißt sie dem Individuum eine beträchtliche Funktion im Umgang mit seiner Umwelt bei. Sie unterstreicht den Wert des einzelnen innerhalb seiner ‘Familie’, indem sie ihn gelegentlich an deren Stabilität kratzen läßt bis er letztlich erkennen muß, daß der Kollaps des unmittelbaren, sozialen Umfelds nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die anderen einen Verlust darstellen würde. Damit wird natürlich nicht nur die individuelle Verantwortung hervorgehoben, sondern dem Individuum selbst eine konkrete Funktion und damit eine Daseinsberechtigung verliehen. Zu einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der zusehends das persönliche Streben nach Erfolg als Erfüllungsgehilfe des Schicksals verpflichtet wird, scheint die Besinnung auf soziale Gemeinschaften im Widerspruch zu stehen. Aber das Verhalten der Zuschauer spricht eine andere Sprache. Es scheint vielmehr ein breites Bedürfnis nach gefestigten Verhältnissen zu geben, der einen unbeschwerteren Weg zum Lebensglück verspricht. So sucht die Sitcom dem ehrgeizigen Alleingänger den Rückhalt durch eine Gemeinschaft nahebringen und dem erfolglosen Zeitgenossen folgende, tröstende Formel anzutragen: In den Augen der Gesellschaft zu reüssieren ist erfreulich, privates Glück jedoch ist die Grundlage für ein zufriedenes Leben. Denn welchen Zweck hat beruflicher Erfolg, wenn er nicht mit nahestehenden Menschen gefeiert und geteilt werden kann.

[1]Tad Friend, "Sitcom Seriously" in Esquire März 1993, Vol.119 N°3, S. 113

„Kritiker mahnen, daß selbst die witzigste Sitcom das Gehirn umgeht und auf Emotionen abzielt, daß Sitcoms eigentlich für Kinder gedacht sind oder das Kind im Erwachsenen.“

[2]Lawrence E. Mintz, "Situation Comedy" in TV Genres: A Hand ook and Reference Guide, 1985, S. 118

„..Zeuge davon zu sein, daß alles „okay sein wird“ für eine Gruppe von Charakteren, mit denen wir vertraut sind und uns wohl fühlen und mit denen wir uns vielleicht sogar ein Stück weit „identifizieren“ können, ist emotional wünschenswert, und wenn wir lustige Witze und unterhaltsame Streiche hinzufügen wird diese Erfahrung Spaß machen und gefallen.“

[3]Gerard Jones, "Honey, I’m Home! Sitcoms: Selling the American Dream" New York, 1993, S. 4

[4]Rick Mitz, "The Great TV Sitcom Book", New York 1980, S. 2

„Es ist nun mal so, daß Sitcoms zu schauen soviel einfacher ist. Es ist einfacher alles zu legen, zu planen, zu machen. In Sitcoms sagen immer alle das Richtige, und es klingt klug."

[5]Mintz, S. 120

[6]Jones, S.5

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